Odin der Göttervater
Der Göttervater Odin ist die wichtigste Gestalt des germanischen Götterhimmels und zugleich in der Überlieferung wohl auch die komplexeste Figur in der nordischen Mythologie, um die sich viele verschiedene Mythen und Geschichten ranken. Während im nordgermanischen Raum vor allem die Bezeichnung „Odin“ gebräuchlich ist, ist die oberste Gottheit der Asen und der germanischen Götterwelt im Allgemeinen in Überlieferungen aus dem südgermanischen Gebiet auch als „Wodan“ oder „Wotan“ bekannt.
Der Rabengott auf der Suche nach Erkenntnis
Der mächtige Göttervater zeichnet sich insbesondere durch seine allumfassende Weisheit und seinen großen Wissensdurst aus: Auf seinen Schultern sitzen die zwei Raben Hugin und Munin, die ihm von allem berichten, was sie auf ihren Botenflügen über das Weltgeschehen herausgefunden haben; ihretwegen wird der oberste Gott der Wikinger unter anderem auch als Rabengott bezeichnet. Übersetzt werden die Namen der Vögel bezeichnenderweise mit den Begriffen „Gedanke“ und „Erinnerung“.
Der Einäugige: Odins Opfer für die Weisheit am Brunnen Mimirs
Die Suche nach Wissen, Wahrheit und Erkenntnis ist bezeichnend für den Göttervater und gilt als eine seiner wichtigsten und prägendsten Charaktereigenschaften. So opferte Odin aus Liebe zur Weisheit sogar die Hälfte seiner Sehkraft: Er besuchte Mimir, den Hüter einer Urquelle der Weisheit unter dem Weltenbaum Yggdrasil, und bat ihn um einen Schluck aus dem Brunnen, dessen Wasser Wissen und Erkenntnis verleiht. Als Opfer für das Erlangen dieser Wahrheit war der Göttervater auf das Gebot Mimirs hin bereit, eines seiner Augen als Gabe in den Brunnen zu legen. Odin wird deshalb auch „der Einäugige“ genannt und auf vielen Darstellungen so gezeigt.
Das Selbstopfer Odins am Weltenbaum Yggdrasil
Nicht nur sein Auge gab Odin im Brunnen Mimirs hin, um zu Wissen, Weisheit und Erkenntnis zu gelangen: Er scheute auch nicht davor zurück, sich selbst als Opfer darzubringen. So hängte er sich selbst neun Tage und Nächte an der Weltenesche Yggdrasil auf, um danach mit größerer Weisheit zu neuem Glanz zu gelangen. Das Selbstopfer Odins am Weltenbaum wird oft als symbolischer Tod mitsamt einer Wiederauferstehung verstanden und deshalb auch mit christlicher Symbolik und christlicher Überlieferung gleichgesetzt.
Odins Begleiter: Hugin und Munin, Sleipnir, Geri und Freki
Gemäß den nordischen Überlieferungen zählen verschiedene Wesen und Tiere zu Odins Begleitung. Neben den beiden Raben Hugin und Munin, die auf den Schultern des Asen thronen und seine Berichterstatter sowie der Ersatz für seine mangelnde Sehkraft sind, gibt es noch weitere göttliche Tierwesen, die dem Göttervater zur Seite stehen.
So ist einer der wichtigsten Begleiter des mächtigsten Asen und Herrscher über den germanischen Götterhimmel das achtbeinige Schlachtross Sleipnir. Auf Sleipnir reitet Odin jeden Morgen über die Weiten des Himmelszelts, begleitet von seinen beiden Raben; und das vielbeinige Pferd ist sein treuer Weggefährte auch im Kampfgeschehen und in den entscheidenden Schlachten der Götterdämmerung.
Neben Hugin, Munin und Sleipnir sind auch die beiden Wölfe Geri und Freki oftmals an Odins Seite zu finden. Übersetzt lauten ihre Namen „Gierig“ und „Gefräßig“, und ihre wichtigste Aufgabe ist es, dem Göttervater auf der Jagd hilfreich zur Seite zu stehen und ihn zu begleiten.
Odins Sitz in Asgard
Als Oberhaupt der nordischen Götter hat Odin seinen Sitz in Asgard. Er herrscht dort als oberster und wichtigster Gott aus dem mächtigen Geschlecht der Asen in zwei Palästen. Während der eine Palast ihm vor allem dazu dient, einen Blick über die ganze Welt haben zu können und von seinem Wohnsitz aus das Geschehen beobachten zu können, dient der zweite Palast Versammlungen mit anderen Göttern. Auch ist der zweite Palast, Gladsheim, der Ort, an dem sich Walhall befindet: In Walhall werden die ruhmreich in der Schlacht gefallenen menschlichen Krieger nach ihrem Tode versammelt, um an der Seite der Götter zu feiern und sich für die letzte Schlacht vorzubereiten. Odin galt aufgrund der versammelten toten Krieger in Walhall auch als „Gott der Erschlagenen“ und wurde wegen seiner Kriegslust und seiner Stärke vor allem von Wikingern stark verehrt und bewundert.
Ein Gott mit vielen Gesichtern und Facetten
Odin gilt nicht nur als prominentester Gott der germanischen oder nordischen Mythologie, er ist auch als eine sehr ambivalente Gestalt in die Überlieferung eingegangen. In der Figur des Göttervaters vereinigen sich viele verschiedene Eigenschaften und Attribute, die ihm zugesprochen werden und die Geschichten über ihn in großem Umfang bestimmt haben. So ist Odin einerseits der Gott des Krieges und des Heldentodes, aber auch ein listenreicher und heimtückischer Gott der Magie und der Weisheit.
Odin, der oft als Wanderer dargestellt wird, da er unerkannt unter Menschen und Göttern wandelte, um ihre Geschichten zu erfahren, vereinigt viele verschiedene Facetten. Er ist weises und mächtiges Oberhaupt der Götter, aber auch ein gefürchteter und mächtiger Kriegsgott; er ist zu gleichen Teilen gerecht und heimtückisch. Während viele ihn aufgrund seiner Stärke und seiner Kampfkunst verehrten, sahen andere in ihm einen Quell des Wissens und der Weisheit und einen Wanderer auf der Suche nach Erkenntnis und Antworten.