Der Beginn der Wikingerzeit
Sie galten als Herren und Schrecken der Meere, als "Piraten" der grauen Vorzeit spuken ihre Geschichte und ihr Mythos noch heute durch Geschichtsbücher, Kindergeschichten und Fernsehserien, Sagen und Filme: Die Rede ist von den Wikingern, die als tapfere und raue Nordmänner in die Annalen eingingen, als kriegerisches und selbstbewusstes Volk, das die Meere und Hindernisse der Natur ebenso bezwang wie kriegerisch gesinnte Gegner. Doch obwohl das Volk der Wikinger vielen aus Büchern und Filmen bekannt ist, werden oftmals nur ungenaue Vorstellungen und vage Bilder mit der Geschichte der Wikinger verknüpft.
Zur Datierung des Beginns der Wikingerzeit
Die Zeitspanne, die offiziell als "Wikingerzeit" in die Geschichtsbücher eingegangen ist, erstreckt sich in der groben Angabe in etwa von 800 n. Chr. bis 1050 n. Chr. Während dies aber nur ungefähre Angaben sind, ist es in der Regel üblich, markante geschichtliche Ereignisse und Wendepunkte zur exakteren Datierung zu verwenden. So fällt ein bedeutsames Ereignis, das im Rückblick von den meisten Historikern als offizieller Beginn der Wikingerzeit als solcher bezeichnet wird, ins Jahr 793 n. Chr.
Die Festsetzung dieses historischen Vorfalls bedeutet nicht, dass es in den Jahrzehnten und Jahrhunderten zuvor keine Aktivitäten der Wikinger und keine kriegerischen Raubzüge von Seefahrern gegeben hätte; auch für das 6. Jahrhundert n. Chr. sind schon Kriegszüge im skandinavischen Raum bekannt, die als charakteristisch für das Volk der Wikinger gelten können, der Überfall auf das Kloster Lindisfarne und dessen Plünderung jedoch stellen einen markanten Fixpunkt dar, der seither als der Beginn der Wikingerzeit gilt.
Der Überfall und die Plünderung des Klosters Lindisfarne
Während im Regelfall Ereignisse im frühen Mittelalter nur grob und durch Mutmaßungen und Schätzungen datiert werden können, gibt es für den Überfall der Wikinger auf das Kloster Lindisfarne ein exaktes Datum: den 8. Juni des Jahres 793 nach Christi Geburt.
Da das Kloster Lindisfarne auf der gleichnamigen Insel errichtet wurde, die bis heute nur durch eine lediglich bei niedrigem Wasserstand befahrbare Straße mit der Küste (der Nordostküste Northumberlands in England) verbunden ist, hatte ein erfahrenes und bewaffnetes Seefahrervolk wie die unerschrockenen Wikinger bei dem Überfall leichtes Spiel. Eine Insel stellte generell ein strategisch günstiges Ziel dar, da sie von allen Seiten zu erreichen und einzunehmen war. Auch bargen Klöster vor allem in der Frühzeit und im Mittelalter wertvolle Schätze und Kostbarkeiten, die für Plünderer und Seeräuber attraktive Beuteziele waren.
Das Kloster selbst bestand zu diesem Zeitpunkt erst seit dem 6. Jahrhundert. Gegründet worden war es von einem irischen Mönch namens Aidan, der heute als Aidan von Lindisfarne offiziell als Heiliger gilt; als Gründer und erster Bischof des Klosters bewegte er sich im heidnischen Gebiet als Missionar und christianisierte die Gegend von Northumbria, die in den alten Glauben zurückgefallen war. Aufgrund der christlich geprägten Geschichte der Insel und des ehemaligen Klosters wird Lindisfarne auch "Holy Island" genannt.
Die Wikingerzeit als Zeit kriegerischer Beutezüge auf See
Dass der Überfall auf das Kloster Lindisfarne oftmals als Beginn der Wikingerzeit angesehen wird, hat auch mit der allgemeinen Wahrnehmung der Wikinger und diversen Charakteristika dieser skandinavischen Stämme zu tun.
Prinzipiell fanden auch um 500 n. Chr. bereits Kriegszüge statt, die ebenfalls zur Wikingerzeit gezählt werden könnten, jedoch liegt das Augenmerk bei der Betrachtung der Wikinger vor allem auf ihrer Eigenschaft als Volk kämpferischer Seefahrer, die vor allem in Küstennähe andere Schiffe, Inseln und Länder überfielen und sich an ihnen bereicherten. Da die Plünderung Lindisfarnes auf dem Seewege vor sich ging und als paradigmatisches Beispiel für einen Beutezug von Wikingern herangezogen werden kann, herrscht in weiten Teilen der historischen Forschung Konsens, dieses Ereignis als Beginn der Wikingerzeit anzusehen.
Weitere Beutezüge und Überfälle
Da sie sich ihrer Geschicklichkeit im Schiffsbau und in der Seefahrt bewusst waren und sie ihre Überlegenheit auf diesem Gebiet realistisch einschätzen konnten, verlegten sich die Wikinger in den Folgejahrzehnten nach dem Überfall auf das Kloster Lindisfarne zunehmend auf kriegerische Beutezüge auf See und visierten größere Ziele an.
So begannen in den Jahren nach der erfolgreichen Plünderung des Klosters Überfälle auf Irland, das Frankenreich und weitere Teile von England. Nach und nach entwickelten sich die Wikinger immer mehr zu einer gut ausgerüsteten, selbstbewussten und überall gefürchteten Seemacht, der ihr Ruf vorauseilte. Die skandinavischen Stämme dehnten ihr Gebiet immer weiter aus und wagten sich auf ihren Beutezügen weiter und weiter vor: Im Jahr 844 überfielen die Wikinger Spanien, 856/57 wurde gar Paris überfallen und geplündert.